Über das Schreiben…

Schreiben. Mit Blick aus dem Fenster. Bretagne Juni 2022

…und über das Lesen

Mein Schreiben fängt mit dem Lesen an. Während meines Literaturstudiums habe ich viele Klassiker gelesen, manchmal, aber nicht immer mit Lust, meist aus dem Drang, Leselisten abzuarbeiten.  Kanonliteratur. Ich habe natürlich viel dabei gelernt. Mein Lesen aber hat sich verändert. Ich denke, wer schreibt, liest anders. Weil er vergleicht, weil technische und methodische Aspekte von Literatur stärker in den Blick geraten, weil er mit einem schreibenden Herzen liest. Heute lese ich vor allem zeitgenössische Autoren. Mich interessiert besonders die Gattung, in der ich mich selbst bewege, die Kurzgeschichte, die Erzählung.  Ich möchte erfahren, wie es die anderen machen. Stilistisch, thematisch. Denn Lesen inspiriert zum Schreiben. Es gibt Autor*innen, die kann ich gar nicht zur Hand nehmen, ohne Heft und Stift griffbereit zu haben. Es gibt Autor*innen, die mich elektrisieren.

In einem Essay berichtet der US-amerikanische Autor James Salter von aus seiner Sicht grauenhaften Schreibseminaren, in der die armen Teilnehmer Texte berühmter Autoren abschreiben mussten (!), um sich in deren Stil anzueignen (Kapnick Distinguished-Writer-in-Residence-Lectures, S. 327ff. Aus: Salter, J.: Charisma, Sämtliche Stories, München 2016). Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Methode besonders erfolgreich war und dass man sie heute noch praktiziert. Dennoch kann ich ihr im Kern etwas abgewinnen. Das Phänomen, das Gelesenes – oftmals unmittelbar – in die eigene Sprache, die Sprache unseres Gedankenstromes und des geschriebenen Wortes Eingang findet – kennt wahrscheinlich jede*r einigermaßen sensible*r Literaturfreund*in. Am Ende eines Schreibprozesses, so glaube ich, kommt immer etwas heraus, was ebenso von anderen geformt wie genuin man selbst ist.

Nulla dies sine linea

Ich weiß nicht, von dem dieser Spruch stammt, vermutlich von einem lateinischen Dichter.  Die alten Römer waren ja bekannt für ihre Effizienz und ihren Pragmatismus. Gefunden habe ich die Maxime im Tagebuch von Gottfried Benn. Benn war nicht nur eine der wichtigsten lyrischen Stimmen seiner Zeit, er unterhielt auch – quasi im Nebenberuf – eine Praxis für Haut und Geschlechtskrankheiten in Berlin-Schöneberg. Mich haben Autoren immer fasziniert, die neben einer oftmals sehr fordernden beruflichen Tätigkeit dem Schreiben nachgegangen sind. Der Satz bei Benn ist Aufforderung und Ermutigung zugleich. Jeden Tag eine Zeile, das heißt dran bleiben, ganz gleich, was Dein Tag noch alles von Dir fordert. Aber eben auch nur eine Zeile. Kein komplettes Gedicht. Kein Romankapitel. Eine Zeile. Und die geht immer und oft bleibt es nicht dabei. 

Und noch eine Sentenz, die ich mir zu Eigen gemacht habe, diesmal aus dem angelsächsischen Zeitmanagement: First things first. Ich habe das Glück (zumindest empfinde ich es so), ein Frühaufsteher zu sein. Wenn alle noch schlafen, klappe ich den Laptop auf und schreibe. Zwanzig Minuten, eine halbe Stunde. Ich versuche das jeden Tag. Weil mir das Schreiben wichtig ist. Weil man viel Zeit damit vertun kann, auf den günstigen Augenblick zu warten, zu dem einen die Muse küsst. Weil man besser wird, wenn man die Dinge regelmäßig tut. Und: Weil es nichts Schöneres gibt, als den Tag mit dem Schreiben zu beginnen.

„Manchmal, wenn ich nicht mehr einschlafen konnte, stand ich auf und fuhr mit den Fingern über die Kugel. Ich verfolgte die gleißenden Fäden, die sich im Inneren der Lampe bildeten, sobald man an das Glas fasste. Es war, als würde etwas Lebendiges darin wohnen, das nur darauf wartete, berührt zu werden.“Aus: Diktatoren

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